Forschungsfelder von Prof. Dr. Dietmar J. Wetzel

Feld 1: Nachhaltigkeit und Transformation: individuelle, institutionelle und gesellschaftliche Faktoren einer ökologischen Lebensführung

Angesichts des Klimawandels und den damit einhergehenden gesellschaftlichen Krisen stellt sich die Frage, inwiefern eine Transformation zu einer nachhaltigeren Gesellschaft insgesamt und einer individuellen ökologischen Lebensführung im Besonderen gelingen kann (Neckel et al. 2018, Opielka 2016). Zu analysieren sind in diesem Kontext erstens die soziologischen Bedingungen der Möglichkeit einer ökologischen Lebensführung. Zweitens muss die Frage nach den Hindernissen, seien diese faktisch vorhanden oder womöglich nur vorgeschoben, gestellt werden. Auf drei Ebenen wird dabei zwischen individuellen, institutionellen und gesellschaftlichen Faktoren unterschieden. Obwohl eine neoliberal unterfütterte Verantwortungszuschreibung – und Verschiebung auf den Einzelnen keinesfalls ausreichen, muss diese individuelle Ebene einer ökologischen Lebensführung thematisiert werden (Morton 2019). Inwiefern spielen hierbei das jeweilige Milieu respektive die Lebenswelt eine erklärende/determinierende Rolle? Eine erste These lautet, dass die Zugehörigkeit zu verschiedenen Milieus in der Gesellschaft, einen entscheidenden Einfluss, nicht nur auf das Bewusstsein, sondern gleichzeitig auf die konkreten Praktiken der Individuen ausüben. In diesem Zusammenhang steht eine zweite These, die besagt, dass sich der Beitrag, den der oder die Einzelne zu leisten vermag, nicht nur nach Milieuzugehörigkeit, sondern auch nach Persönlichkeit/Habitus unterscheidet. Des Weiteren wäre der institutionelle Kontext zu berücksichtigen, der auf der Ebene von Organisationen und Unternehmen Ermöglichungsbedingungen für eine ökologische Lebensführung bereithält beziehungsweise verweigert. Zudem wäre zu erforschen, welchen Einfluss die gesellschaftlich-politischen Rahmenbedingungen im Hinblick auf eine ökologischere Lebensführung einnehmen.

 

 

Feld 2: Empirische Resonanz- und Anerkennungsanalytik im Lernkontext/ Schulunterricht

Schulen, Hochschulen und der «bildungsindustrielle Komplex» (Münch 2018) insgesamt geraten über Prozesse der Ökonomisierung und der Vermarktlichung immer stärker unter Druck (Wetzel 2013). Dies hat Auswirkungen auf den Unterricht und dessen Gestaltung. Viele Lehrerinnen und Lehrer sind von Erschöpfungsdepressionen und Burn-out bedroht. Neben Pflegenden, Ärzten sind Lehrer*innen die Gruppe in unserer Gesellschaft, die am häufigsten von solchen und ähnlichen psychischen Erkrankungen betroffen sind. Wie kann es überhaupt gelingen, ein „guter und resonanter“ Unterricht im Kontext gegenwärtiger Ausbildungsbelastungen und den damit einhergehenden steigenden Anforderungen, sowohl an Schüler*innen als auch an das Lehrpersonal, zu etablieren? Dieser grundsätzlichen Frage geht das Projekt nach, indem die Fruchtbarkeit einer resonanz- und anerkennungsanalytischen Perspektive in dieser eminent wichtigen Sphäre der Gesellschaft überprüft wird (Rosa 2017, Wetzel 2018). Neben ersten empirischen Beobachtungen im Schulunterricht, liegen bereits Vorarbeiten zu einer empirischen Resonanzanalytik auf den Feldern des Sports und der Liebe vor (Wetzel 2014a, 2014b). Zusätzlich zu ethnographischen Fallstudien (Methoden: Videoanalysen und teilnehmende Beobachtungen) in Schulen/Bildungseinrichtungen sollen auch Interviews mit dem Lehrpersonal und Schüler*innen durchgeführt werden, um sowohl Resonanz-, Anerkennungs-, aber auch Entfremdungserfahrungen im Unterricht und bei Prüfungen erfassen zu können.

 

 

Feld 3: Praxeologische Organisations- und Lebensweltanalyse im Zeitalter der Digitalisierung: Coaching als ganzheitliche Beratung

Wir leben in einer Gesellschaft, in der (professionelle) Beratung immer wichtiger wird. Auf diesen Bedarf an Beratung reagieren die vielfältigen Angebote des Coachings. Wie müsste im Zeitalter der Digitalisierung ein ganzheitliches Coaching aussehen? Ein derart verstandenes Coaching versucht möglichst umfassend alle relevanten Bereiche des Lebens mit einzubeziehen und durch eine relational-konstellative Analyse zu einer tiefgreifenden Problem- und Situationsanalyse zu gelangen. Um dies gewährleisten zu können, müssen wir auf Erkenntnisse aus der praxeologischen Organisations- und Lebensweltanalyse zurückgreifen (Wetzel 2019). Die leitende Hypothese lautet daher: Coaching-Prozesse müssen im beruflich-privaten Kontext als eine Form der Beratung und der Begleitung analysiert werden, die in praxeologische Organisations- und Lebensweltanalysen eingebettet sind. Eine praxeologische, d. h. eine auf die Akteur-Umwelt-Beziehung fokussierende Organisationsanalyse dient dazu, Prozesse und Abläufe in Organisationen/Unternehmen besser zu verstehen (vgl. dazu Groddeck und Wilz 2017). Eine forschungsleitende Annahme besteht darin, dass Coaching in Hinblick auf Digitalisierung vor neuen Herausforderungen steht. Unterstützt durch Software-Programme, digitale Tools etc. werden diese Techniken und Methoden auf absehbare Zeit den Coaching-Prozess nicht nur modifizieren, sondern auch mutmaßlich effektiver werden lassen.

 

 

Feld 4: Metamorphosen der Macht - second edition

Wer verzichtet schon gerne auf Macht? Die ehrliche Antwort lautet: die Allerwenigsten von uns. Unsere Haltung zu Macht ist häufig ambivalent, gilt diese doch als ein ebenso negatives wie notwendiges Phänomen. Macht hat viele Gesichter, Erscheinungsweisen und Formen. Diesen nachzuspüren, ist die Aufgabe, der sich das Buch „Metamorphosen der Macht“ stellt. Nach einem kurzen Rundgang durch die sozialwissenschaftlich-philosophische Literatur zu dem Begriff und den Konzepten der Macht, problematisiert der Text 50 Machtformen in prägnanten soziologischen Erkundungen des Alltags. Diese beziehen ihre empirische Evidenz allesamt aus Alltagssituationen, die sowohl aus dem Beruflichen als auch der privaten Sphäre stammen. Mit einer solchen Problematisierung der Macht in ihren feinen Verästelungen verfolge dasd Buch zweierlei Ziele: Zum einen klärt es über die Bedeutsamkeit und Allgegenwärtigkeit des Phänomens Macht auf. Zum anderen lotet es Momente der Gegenwehr und des Widerstands aus, verstehbar als Gegen-Macht, die zu einem umfassenden und zeitgemäßen Machtverständnis gehören. Das bereits publizierte Buch wird durch weitere Forschungen auf dem Gebiet der Macht ergänzt. Beabsichtigt ist eine erweiterte Neuauflage des 2019 erschienenen Buches.

 

 

Feld 5: Sharing - Caring - Loving

In diesem Projekt geht es mir um die anthropologischen oder auch menschlichen Bedürfnisse, die für mich erfüllt sein sollten, wenn wir an ein gelingendes Leben denken. Schlagwortartig geht es um die Trias „Sharing, Caring, Loving“. Erster Punkt: Die Ideen und Praktiken des Sharings/ des Teilens und des Miteinanders sind für mich ein wesentliches Moment. Anders gesagt: wie viel und welche Form der Gemeinschaftlichkeit und des Gemeinsamen brauchen wir, und was sind wir bereit, mit anderen zu teilen und was nicht. Wo müssen wir vielleicht auch etwas teilen und abgeben? Ganz einfach deshalb, weil wir wesentlich mehr haben als andere, womit ich an die globale Verantwortlichkeit und die notwendige und mögliche Umverteilung appellieren möchte. Zweitens: Caring, womit der ganze Bereich der Fürsorge und des Sich-kümmerns um andere angesprochen ist. Nicht nur deshalb, weil unsere Gesellschaft bedingt durch den demografischen Wandel im älter wird, sondern auch im Umgang miteinander scheint mir die Idee der Sorge um sich und vor allem um andere von fundamentaler Bedeutung zu sein – und damit zugleich einem anthropologischen Bedürfnis zu entsprechen. Und damit bin ich auch beim dritten Punkt angelangt: Loving. Hier interessieren mich alle Formen der Beziehungen, von der Partnerschaftsliebe bis hin zur Menschheitsliebe wie sie Schiller und andere beschrieben haben. In der Verbindung dieser drei „Elemente“ liegen für mich die Grundbedingungen eines gelingenden Lebens, was übrigens nicht genuin auf mich zurückgeht, sondern auf die Maori, die Ureinwohner Neuseelands. Diese baten, wie der Journalist Werner Bartens vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung schrieb, „zu Beginn [einer Konferenz] drei Dinge zu benennen, die eine Gesellschaft den eigenen Kindern mitgeben sollte. Die westlichen Bindungsforscher diskutierten ewig und fanden am Ende keinen gemeinsamen Nenner. Die Maori waren nach einer halben Minute einig: Caring, Sharing, Loving – sich kümmern, teilen, lieben.“

 

 

 

Abgeschlossene Projekte: